Anonyme Anzeige über Hinweisgebersystem = Durchsuchung?

Landgericht Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 14.02.2024 – 18 Qs 49/23

Der Beschluss behandelt Beschwerden gegen die Durchsuchungsanordnungen, die das Amtsgericht Nürnberg am 2. Oktober 2023 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG), erlassen hat. Diese Durchsuchungsbeschlüsse umfassten sowohl die Räumlichkeiten einer Apotheke als auch die Wohnräume der Beschuldigten.

Der Hintergrund bildet ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Beihilfe zu gewerbsmäßigem Betrug gemäß §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 27 und 53 StGB.

Die Beschuldigte, eine Apothekerin, betreibt zwei Apotheken. Sie wird beschuldigt, Privatpatienten die Aushändigung von tatsächlich nicht erhaltenen Medikamenten bescheinigt zu haben. Diese Patienten reichten daraufhin Rezepte bei ihren Krankenversicherungen ein und ließen sich den nie bezahlten Betrag erstatten. Weiterhin soll die Beschuldigte von Kassenpatienten für die Herausgabe von Medikamenten Gebühren erhoben und diese zusätzlich bei den Krankenkassen abgerechnet haben.

Die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft basieren auf eines anonymen Hinweises, die über das Hinweisgebersystem der ZKG eingereicht wurde. In dieser Anzeige schilderte die informierende Person detailliert das zweigleisige Vorgehen der Beschuldigten, nannte den konkreten Tatzeitraum, benannte Zeugen und offenbarte ihre Unkenntnis über bestimmte Umstände. Diese Informationen wurden in mehreren Ergänzungen zur anonymen Anzeige weiter ausgeführt.

Im Zuge der Durchsuchungen zeigte sich die Beschuldigte mit der Sicherstellung von Gegenständen in ihren Apotheken einverstanden, während jedoch Gegenstände aus ihrem privaten Wohnhaus beschlagnahmt wurden.

Die Beschuldigte legte Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnungen ein und beantragte unter Widerruf ihres Einverständnisses bezüglich der Sicherstellung sowie zur Beschlagnahme eine gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht Nürnberg wies die Beschwerden jedoch zurück, weshalb das Verfahren dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung vorgelegt wurde.

Indem vorliegenden Beschluss stellte das Landgericht fest, dass ein „greifbarer Verdacht“ für eine Durchsuchung gemäß § 102 StPO auch auf einer anonymen Anzeige (Hinweises) basieren kann. Ein genereller Ausschluss anonymer Anzeigen und Hinweise als Verdachtsgrundlage würde dem Ziel des Strafverfahrens, die materielle Wahrheit zu ermitteln, widersprechen. Allerdings müssen anonyme Meldungen besondere Anforderungen erfüllen, um als Grundlage für einen Anfangsverdacht akzeptiert zu werden. Diese Meldungen müssen entweder detaillierte Informationen enthalten oder mit schlüssigem Tatsachenmaterial ergänzt werden.

Das Gericht betonte, dass bei der Bewertung anonymen Informationen die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten besonders sorgfältig berücksichtigt werden müssen. Es bestätigte, dass zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung eine ausreichende Verdachtslage aufgrund der anonymen Anzeige in Bezug auf gewerbsmäßigen Betrug und Beihilfe vorlag.

Die Ermittlungsbehörden hatten die anspruchsvollen Anforderungen an die Prüfung der anonymen Meldung erfüllt, indem sie die Glaubwürdigkeit der Angaben durch gezielte Nachfragen und ergänzende Ermittlungen überprüften. Der Inhalt der anonymen Anzeige war klar und detailliert, was auf tatsächliche Kenntnisse über die Abläufe in den Apotheken der Beschuldigten hindeutet.

Das Gericht stellte fest, dass es kriminalistischer Erfahrung entspricht, dass noch keine konkreten Fälle vorliegen müssen, wenn ein Durchsuchungsbeschluss erlassen wird. Es argumentierte außerdem, dass § 203 StGB die Verwendung der anonymen Anzeige als Beweismittel nicht ausschließt, da unklar ist, ob die meldende Person tatsächlich die Voraussetzungen des § 203 erfüllt.

Trotz kleinerer Unklarheiten in der anonymen Anzeige führte das Gericht eine Gesamtschau durch, die die Verdachtslage zusammen mit dem Inhalt der Meldung stützte. Abschließend stellte das Gericht fest, dass das Verhalten der Beschuldigten gemäß den relevanten Strafrechtsnormen strafbar ist und die Durchsuchungsbeschlüsse den rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Es wies darauf hin, dass die Bezugnahme auf Anforderungen an einen Anklagesatz mit den Anforderungen an eine Durchsuchung verwechselt wurde und dass die Durchsuchungen verhältnismäßig und rechtmäßig waren, da die Beschwerdeführerin selbst Beschuldigte war.

Der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth behandelt erstmals seit Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) im Juli 2023 die Anforderungen an anonyme Anzeigen als Grundlage für eine Durchsuchung gemäß § 102 StPO. Das Gericht beruft sich dabei auf frühere Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, die besagt, dass anonyme Anzeigen grundsätzlich zur Ermittlung der materiellen Wahrheit genutzt werden können. Aufgrund der erheblichen Grundrechtseingriffe, die eine Durchsuchung mit sich bringt, fordert das LG Nürnberg-Fürth jedoch zwei wesentliche Bedingungen: Die anonyme Anzeige muss entweder von erheblicher sachlicher Qualität sein oder durch schlüssiges Tatsachenmaterial unterstützt werden. Außerdem ist eine besonders sorgfältige Prüfung dieser Voraussetzungen erforderlich.

Das Gericht zieht Parallelen zu den Regelungen des HinSchG, welches vorsieht, dass externe Meldestellen auch anonyme Meldungen bearbeiten müssen, während gleichzeitig die Stichhaltigkeit dieser Meldungen geprüft werden sollte. In diesem Zusammenhang könnten die externen Meldestellen, ähnlich wie das LG Nürnberg-Fürth, die Gründe für die Unterlassung der Identitätsoffenlegung der auskunftgebenden Person berücksichtigen.

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