Vor drei Jahren wurde die Schmiergeld-Äffäre bei Siemens publik, seit einem Jahr überwacht der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel im Auftrag der amerikanischen Behörden die Fortschritte des Unternehmens bei der Verbesserung der Anti-Korruptionssysteme. Im Gespräch mit dem Handelsblatt zieht er Bilanz.
Als Sie von den ersten Hinweisen auf Schmiergeld bei Siemens gehört hatten, konnten Sie sich da vorstellen, welches Ausmaß die Affäre hat?
Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich habe das aber auch nur aus der Entfernung beobachtet, ich hatte keine besonders enge Beziehung zum Haus. Aber natürlich waren das gravierende Vorgänge, die da aufgedeckt wurden. Es war richtig, die Dinge radikal anzupacken.
Sie haben einen besonders engen Einblick. Wie weit ist Siemens drei Jahre nach Bekanntwerden des Skandals bei der Korruptionsbekämpfung?
Siemens stellt inzwischen weltweit ein Vorbild dar. Hier wurde eine Compliance-Organisation mit mehr als 600 Beschäftigten aufgebaut, wie es sie nirgendwo auf der Welt so gibt. Von der neuen Führung wird das vorgelebt und als inneres Prinzip verstanden: „Nur saubere Geschäfte sind Siemens Geschäfte.“
Wie sieht Ihre Arbeit als Compliance Monitor aus?
Ich bin ein halbes Jahr rund um die Welt gereist. Zweimal in die USA, China, Dubai, Brasilien, Österreich, Russland?Das hatte ich mir vorher so nicht vorgestellt. Wir haben als Team 500 Einzelgespräche mit Mitarbeitern geführt und 10 000 Dokumente eingesehen.
Klingt nach einer Menge Arbeit.
Ja, ich habe viel mehr Arbeitszeit investiert, als ich gedacht hatte. Das macht sicher mehr als 50 Prozent meiner Arbeitszeit aus. Aber es ist spannend. Langweilig wurde mir keine Sekunde. Ich musste mich in eine völlig neue Materie einarbeiten.
Viele in der Wirtschaft, sagen in manchen Ländern dieser Welt kann man ohne Schmiergeld keine Geschäfte machen. Stimmt das nach Ihren Beobachtungen?
Nein, das ist eine Mär. Mir ist kein einziger Auftrag bekannt geworden, den Siemens wegen der strikten Anti-Korruptions-Strategie nicht bekommen hätte. Im Gegenteil, ich glaube, dass konsequentes „Clean Business“ heutzutage ein Wettbewerbsvorteil ist.
Ich kann also zum Beispiel in Nigeria einen Infrastrukturauftrag bekommen ohne zu schmieren?
Ja, wenn man den Regierenden sagt: „Mit uns läuft da nichts“, sind die Herrschenden angetan. Ein Vorteil für Siemens ist zudem, dass der Konzern seit Jahrzehnten ein verlässlicher Vertragspartner ist und zu seinen Verpflichtungen mit Projekten steht. Im übrigen: Selbst autoriäte Regime wollen heutzutage keine Korruption mehr- jedenfalls auf den Ebenen unter sich.
Aber in vielen Ländern muss man doch Agenturen zwischenschalten und denen Geld geben.
Das gibt es schon noch. Aber die so genannten Business Agents werden von Siemens einzeln überprüft und genaustens durchleuchtet, ob sie geeignet sind und eine reale Gegenleistung erbringen.
Sie sehen sich im Ausland vor allem die Schnittstellen zu den Kunden von Siemens an. Wo sind da die Probleme.
Das Problem ist in erster Linie die teilweise fehlende IT auf Seiten der Kunden. Da fehlt dann die notwendige Transparenz und Kontrolle, wenn zum Beispiel für die lokale Steuer noch Papier benutzt wird.
Gibt es denn auf Seiten von Siemens noch Lücken?
Das Compliance-Programm ist gut und schlüssig. Die entscheidende Frage ist auf lange Sicht: Ist das nachhaltig und auch verinnerlicht. Das muss in Fleisch und Blut übergehen.
Sie haben vorhin die Compliance-Organisation mit mehr als 600 Beschäftigten angesprochen. Kann man hier das Rad wieder ein wenig zurückdrehen? Manche meinen ja, dass Siemens inzwischen zuviel des Guten tut.
Manche sagen, das seien unproduktive Arbeitsplätze. Das stimmt aber nicht. Im Sinne des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit sind das sehr wohl produktive Arbeitsplätze. Ich würde derzeit nichts reduzieren. Wenn Compliance Verstand und Herz erreicht hat und in Fleisch und Blut übergegangen ist, kann man darüber reden, ob man das ganze ein wenig zurückdreht, aber nicht jetzt.
Auch bei den Regeln zum Beispiel für Einladungen und Geschenke meinen manche, dass Siemens zu streng ist.
Die meisten haben sich daran gewöhnt. Wenn Sie zum Beispiel eine Einladung zum Fußball bekommen, dann können Sie das in ein Software-Programm eingeben. Damit ist der Vorgang dokumentiert und die Zulässigkeit geprüft. Es ist für die meisten eine Hilfe – und keine lästige Pflicht.
Sie haben der SEC nun ihren ersten Bericht vorgelegt. Wie dick ist der denn und wie waren die ersten Reaktionen?
Der Bericht selbst hat knapp 200 Seiten, dazu kommt ein umfangreicher Anhang. Die Reaktionen beim Justizministerium und der SEC waren sehr positiv. Es gab kein einziges Wort der Kritik. Ganz im Gegenteil, die waren sehr beeindruckt.
Sie haben sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Wie konnte es zu dem Schmiergeldskandal bei Siemens kommen?
Meine Aufgabe besteht darin, die Gegenwart und die Zukunft zu bewerten, nicht die Vergangenheit. Nur soviel. Man hat das Thema nicht in seiner Dimension erkannt. Hinzu kommt: Man kam aus einer anderen Zeit, da galten Geldzahlungen im Ausland steuerrechtlich noch als nützliche Aufwendungen.
Hätten Sie da in Ihrer Zeit als Politiker noch früher aktiv werden müssen?
Wir hatten noch nicht dieses Ausmaß an Globalisierung. Man musste zumindest einen Empfängernamen für die nützlichen Ausgaben angeben. Unter unserer und der Nachfolgeregierung wurden die Regelungen verschärft, Auslands-Korruption schließlich auch verboten.
Welche Lehren können andere Unternehmen aus der Affäre ziehen?
Siemens hat die Dinge schnell und entschieden angepackt und sich damit einen sehr großen Gefallen erwiesen. Der Konzern hat mit den Behörden in Deutschland und den USA umfassen kooperiert. Man kann anderen Unternehmen nur einen ähnlich offensiven und offenen Umgang empfehlen.
Autor: Axel Höpner
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