Anfang des Jahres gab es eine bundesweite Großrazzia des Bundeskartellamtes in deutschen Einzelhandelsketten und bei einigen Markenartiklern. Es ging um angebliche Preisabsprachen bei Kaffee, Süßwaren und Tiernahrung. Sollten am Ende tatsächlich Verstöße aufgedeckt werden, so hätte das ganz empfindliche Geldbußen zur Folge und auch hässliche Kratzer an der Reputation. Kein Wunder, dass nicht nur börsennotierte Unternehmen versuchen vorzubeugen und in die Einhaltung von Recht und Gesetz investieren. Auch genossenschaftlich organisierte Unternehmen wie die Rewe-Gruppe haben „Compliance“- Systeme zur Risikominimierung und Haftungsvermeidung eingeführt.
Gemessen an Lug und Betrug im eigenen Haus, an Korruption, Diebstahl und Untreue, ist Rewe unauffälliges Mittelmaß. Nicht schlechter und nicht besser als die anderen siebzehn großen deutschen Unternehmen, die Rainer Buchert als Ombudsmann betreut. Er ist der Ansprechpartner für heikle Fälle. Jedes Jahr nimmt er von den Rewe-Mitarbeitern Dutzende von Hinweisen auf illegale Machenschaften entgegen. „Die Zahl der relevanten Sachverhalte bewegt sich unter hundert. Für ein Unternehmen dieser Größenordnung ist das nichts Ungewöhnliches“, erzählt er. Buchert muss es wissen, er hat den direkten Vergleich.
Angefangen hatte es im Jahr 2000 mit der Deutschen Bahn, seit Mai 2006 steht der Anwalt aus Frankfurt auch bei der Kölner Handelskette unter Vertrag. Dann kam die Siemens-Affäre und mit ihr eine Welle neuer Mandate von Unternehmen, die Buchert als externen Ombudsmann einsetzen, um ihr Innenleben besser zu schützen. Der frühere Offenbacher Polizeipräsident hat gut zu tun. Bertelsmann und die Bremer Landesbank, Lufthansa und Otto Group, Telefónica O2 und Volkswagen sind einige der prominenten Auftraggeber. „Spätestens seit der Korruptionsaffäre bei Siemens weiß jeder Vorstand und Aufsichtsrat, welche Haftungsrisiken, Schadensersatzansprüche und Kosten drohen, wenn etwas aus dem Ruder läuft“, sagt Volker Dürschlag. Er leitet bei Rewe die Rechtsabteilung und hat als „Compliance“-Verantwortlicher dafür zu sorgen, dass Gesetze und interne Regelwerke beachtet werden.
Bei Siemens sind es mehr als 500 Mitarbeiter, in der Kölner Rewe-Zentrale ein halbes Dutzend, die sich um die heiklen Fragen kümmern. „Es kommt auf die Wirksamkeit des Systems an, und da sehen wir uns gut aufgestellt“, sagt Dürschlag. Seine Mitarbeiter organisieren Kontrollmechanismen, definieren Verfahrensabläufe und weisen Verantwortlichkeiten so zu, wie es sich für eine „ordnungsgemäße Unternehmensführung“ gehört. Die „Compliance“-Abteilung arbeitet Hand in Hand mit der Konzernrevision, die regelmäßig einzelne Teile des Unternehmens von Grund auf durchleuchtet und Schulungen durchführt, um die Mitarbeiter zu sensibilisieren. Erst Ende 2009 habe bei einer solchen Veranstaltung für 450 Mitarbeiter auch das Kartellrecht auf dem Programm gestanden, erzählt Rüdiger Hahn, Leiter der Konzernrevision.
Ombudsmann Buchert hält die Beziehung zwischen Einkäufern und Lieferanten zwar für eine „typische Risikostelle“ – nicht nur bei Rewe, sondern in jedem Handelsunternehmen. Hinweise auf Preisabsprachen seien ihm aber noch nicht untergekommen, dafür jedoch Vorteilsnahme und Korruption. „Wer über den Einkauf und die Listung der Waren entscheidet, sitzt grundsätzlich an einer zentralen Schaltstelle, und dieser Versuchung kann nicht jeder widerstehen.“
Über Einzelheiten seiner Arbeit lässt sich der Anwalt natürlich nicht viel entlocken. Nur im Holzschnitt beschreibt er, was an Hinweisen aufläuft. Die Liste reicht von bandenmäßig betriebenen Lagerdiebstählen über Scheinrechnungen bis zur Manipulation von Ausschreibungen zugunsten eines Verwandten. Manchmal gehe es um Bagatellen, gelegentlich auch um Beträge von einigen hunderttausend Euro. Mitarbeiter, die Buchert anrufen, drucksen häufig erst einmal herum, häufig genug geht es schließlich um Personen im engen Kollegenkreis. „Die Leute sind sehr vorsichtig, oft zwiespältig, sie wollen niemandem Unrecht tun“, berichtet Buchert. Was seine Informanten auf dem Herzen haben, kann Karrieren zerstören, auch die eigene. Wer Unternehmensinterna ausplaudert, und sei es der Verdacht, dass ein Kollege oder Vorgesetzter in die eigene Tasche wirtschaftet, hat vor deutschen Arbeitsgerichten schnell das Nachsehen.
„In solchen Fällen bauen wir Brücken. Wer sich an den Ombudsmann wendet, kann sicher sein, dass sein Name vertraulich bleibt“, erläutert Buchert. So hilft er Kommissar Zufall auf die Sprünge. Es liegt in der Natur der Sache, dass es meistens die unmittelbaren Kollegen und Mitarbeiter sind, denen möglicherweise illegale Machenschaften auffallen. Aber gerade die berufliche Nähe zum tatsächlichen oder vermeintlichen Täter ist eine hohe Hürde, Vorgesetzte oder gar die Revision zu informieren. Die Vertraulichkeitszusage macht es den Informanten einfacher. Selbst wenn es zu einem Ermittlungs- und Strafverfahren kommen sollte, schützt das anwaltliche Zeugnisverweigerungsrecht des Ombudsmanns die Identität der Hinweisgeber.
In der Regel werden durch die ausgelösten Ermittlungen so viele Sachverhalte aufgedeckt, dass eine Aussage des Hinweisgebers nicht mehr benötigt wird, berichtet der professionelle Ombudsmann. Und eines kann er beruhigend aus seiner bisherigen Praxis hinzufügen: Einen Fall, in dem es um niederträchtiges Denunziantentum ging, hat er noch nicht erlebt.
Autor: F.A.Z.
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