EU-Whistleblower-Richtlinie: Praxistipps für Unternehmens-Entscheider (Teil 10)
Ohne Betriebsvereinbarung sind Interne Untersuchungen oftmals nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar. Als Unternehmensentscheider sollten Sie daher darauf achten, dieses Thema mit dem Betriebsrat en Detail zu regeln. Warum Sie dahingegen die Betriebsvereinbarung zu Sanktionen eher pauschal formulieren sollten, erläutern Nadine Jacobi und ich in der heutigen und vorletzten Folge unserer Blog-Serie zur EU-Whistleblower-Richtlinie.
(Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text auch das generische Maskulinum. Gemeint sind immer alle Geschlechter)
Die Hinweise des Whistleblowers waren äußerst vielversprechend. Eine Interne Untersuchung hätte schnell Klarheit gebracht – wenn der Betriebsrat einverstanden gewesen wäre. War er aber nicht. Die Geschäftsleitung hatte zuvor keine Betriebsvereinbarung mit der Interessenvertretung der Belegschaft geschlossen, in welchen Fällen und wie Mitarbeiter befragt und Daten ausgewertet werden dürfen.
Wenn der Hinweis plausibel ist: Wann darf wer was untersuchen?
Wir haben solche Fälle in der Praxis schon oft erlebt: In manchen Unternehmen gab es gar keine Betriebsvereinbarung zu Internen Untersuchungen, in anderen wurden wichtige Aspekte nicht ausreichend geregelt. Unsere Frage lautet daher:
Haben Sie in Ihrer Betriebsvereinbarung zum Thema „Interne Untersuchung“ an alles gedacht? Häufig ist nicht vereinbart,
- welche Voraussetzungen für die Aufnahme einer internen Sachverhaltsaufklärung gegeben sein müssen und
- wer wie und wann eingebunden sein muss.
Weitere Themen, die unbedingt Bestandteil der Betriebsvereinbarung sein sollten:
- Welche Art von Prüfungen darf das Unternehmen vornehmen?
- In welchem Format dürfen Mitarbeiter befragt werden?
- Wann und unter welchen Bedingungen darf das Unternehmen auch Mail-Accounts durchsuchen, wie sieht es mit privaten Nachrichten aus?
- Wer darf Einblick nehmen?
- Ab welchem Zeitpunkt muss der Betriebsrat informiert werden?
Darüber hinaus zu regelnde Vereinbarungen betreffen die Einhaltung von datenschutz- und arbeitsrechtlichen Vorgaben.
Das Unternehmen hat sehr viele Vorteile, wenn all diese Fragestellungen in der Betriebsvereinbarung festgelegt sind. Selbstverständlich kann und muss es Interne Untersuchungen bei einem Anfangsverdacht durchführen – unabhängig davon, ob eine Betriebsvereinbarung vorliegt oder nicht. Mit einer mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zur Durchführung Interner Untersuchungen ist es jedoch sehr viel leichter, plausibel erscheinenden Hinweisen schnell und ohne großes Aufsehen nachzugehen. Unser am Anfang geschildertes Problem, bei dem der Betriebsrat zuvor nicht ins Boot geholt wurde und die nun folgende Interne Untersuchung zunächst blockierte, kann so gar nicht erst entstehen.
Sanktionen im Vorfeld konkret definieren? Bitte nicht!
Im Gegensatz zu den möglichst dezidierten Formulierungen in einer Betriebsvereinbarung, wann, wie und unter welchen Voraussetzungen das Unternehmen eine Interne Untersuchungen durchführen darf, empfehlen wir für die darüber hinaus aufzusetzende Richtlinie zum Thema „Interne Untersuchungen“ ein völlig anderes Vorgehen. Diese Richtlinie, die von der Compliance-Abteilung erstellt wird, regelt zwar die einzelnen (Prozess-)Schritte zum Ablauf einer Internen Untersuchung, definiert jedoch weder Art noch Umfang der Sanktionierung von Compliance Verstößen. Noch immer begehen manche Unternehmen den Fehler, in dieser Richtlinie konkrete Sanktionierungsmaßnahmen festzuzurren. Mit diesem (voreiligen) Vorgehen bindet sich das Unternehmen jedoch unnötig und verliert den notwendigen Handlungsspielraum, wenn ein konkretes Fehlverhalten angemessen sanktioniert werden soll. Unsere Empfehlung: In der Richtlinie zum Thema Umgang mit Internen Untersuchungen und Sanktionierung von Fehlverhalten werden allgemein gültige Regelungen getroffen. Im Kern geht es um die Selbstverpflichtung des Unternehmens, Fehlverhalten konsequent und angemessen zu sanktionieren. Dabei werden alle Mitarbeiter unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion und Position gleichbehandelt – dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn der Geschäftsführer aus der umsatzträchtigsten Tochtergesellschaft wegen erwiesenen Fehlverhaltens sanktioniert werden muss.
Das Sanktionierungs-Dilemma: Zwischen Arbeitsrecht und Zero Tolerance
Endet eine Interne Untersuchung mit der Feststellung eines relevanten Compliance Verstoßes, muss sich das Unternehmen damit auseinandersetzen, wie der Mitarbeiter angemessen sanktioniert wird. In Betracht kommen entweder eine Ermahnung, eine Abmahnung oder eine Trennung in Form einer Aufhebungsvereinbarung. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung. Welche dieser Sanktionsarten auszuwählen ist, dazu macht das Arbeitsrecht keine Vorgaben. Das Unternehmen kann hier je nach Einzelfall selbst entscheiden.
Regelmäßig kommt es dabei vor, dass ein Unternehmen aus Sorge vor einer juristischen Gegenwehr des Betroffenen, zum Beispiel in Form einer Kündigungsschutzklage, das Fehlverhalten zu niederschwellig ahndet. Häufiges Mittel der Wahl: Die Abmahnung. Sie hat zunächst keine dramatischen Auswirkungen für den Betroffenen, so dass der sanktionierte Mitarbeiter sich nicht dagegen zur Wehr setzen wird. Eine etwas härtere Sanktion ist die Trennung in Form einer Aufhebungsvereinbarung, auf die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber einvernehmlich einigen. Dabei erhält der Mitarbeiter oft noch eine Abfindung oder eine Lohnfortzahlung über mehrere Monate hinweg – zusammen mit einem wohlwollenden Arbeitszeugnis. Durch die einvernehmliche Vereinbarung inklusive Wohlfühlpaket möchte die Personalabteilung die Trennung möglichst schnell und „smooth“ über die Bühne bringen, gerade weil die Sorge besteht, das Fehlverhalten nicht zu 100% in einem arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahren beweisen zu können.
Kommt es jedoch zur Sanktionierung eines Compliance-relevanten Fehlverhaltens wie Korruption, ist die Wahlfreiheit der arbeitsrechtlichen Sanktionen aus der Compliance Perspektive deutlich eingeschränkt. Dann geht es nicht mehr darum, welche Sanktionierungsmaßnahme am wenigsten konfliktträchtig ist. Hier muss Vorrang haben, welche Sanktion das nachgewiesene Fehlverhalten angemessen ahndet. Eine Abmahnung oder Aufhebungsvereinbarung inklusive Abfindung und wohlwollendem Zeugnis als Sanktion auf einen Korruptionsvorwurf erfüllt nicht das Kriterium der Angemessenheit. Warum ist die konsequente und angemessene Ahndung für Sie als Unternehmensentscheider so wichtig? Sollte sich eine Ermittlungsbehörde später einmal mit dem Vorfall beschäftigen, prüft sie u.a. ob seitens des Unternehmens ein Organisationsverschulden vorliegt. Neben der Einrichtung eines effektiven Compliance-Management-Systems zur Vermeidung und Identifizierung von Compliance Verstößen, ist für die Bewertung entscheidend, wie das Unternehmen mit dem identifizierten Compliance Verstoß umgeht – also ob es das Fehlverhalten „angemessen“ sanktioniert hat.
Pauschale Abmahnung verhindert oft weitere Sanktion
Es gibt weitere Fälle, in denen die Personalabteilung vor der Verhängung einer Sanktion die Compliance-Abteilung hinzuziehen sollte. Unser Beispiel aus der Praxis: Der Mitarbeiter erhält von der Personalabteilung eine Abmahnung, weil ihm ein Betrug zum Nachteil des Unternehmens nachgewiesen werden konnte. Der Inhalt der Abmahnung war nicht mit der Compliance-Abteilung abgestimmt und enthält nur sehr pauschale Angaben zum Sachverhalt. Unter anderem fehlt die Beschreibung des konkreten Tathergangs einschließlich Zeitpunkt und Ort. Nur kurze Zeit später wird im Rahmen der immer noch andauernden Internen Untersuchung ein weiterer Betrug entdeckt, der ebenfalls durch jenen Mitarbeiter begangen worden war: Gleiche Vorgehensweise wie beim ersten Betrugsfall, aber andere Betroffene und anderer Zeitpunkt. Dennoch kann das geschädigte Unternehmen den Mitarbeiter nicht mit einer weiteren Abmahnung sanktionieren – die erste Abmahnung war zu pauschal formuliert, der Vorfall somit „abgefrühstückt“. Eine weitere Sanktionierung, etwa in Form einer zweiten Abmahnung für den fortgesetzten Betrug kommt daher nicht mehr in Betracht und das Unternehmen kann in der Folge nicht mehr adäquat darauf reagieren.
Die Sache mit der „Selbstanzeige“
Grundsätzlich sind Unternehmen nicht gesetzlich dazu verpflichtet, nach der internen Aufklärung einer Straftat den Vorgang anzuzeigen. Das Gesetz sieht hier nur wenige Ausnahmefälle vor. Manche Unternehmen verpflichten sich dennoch im Rahmen ihrer Richtlinie “ Interne Untersuchungen“ in bestimmten Fällen zur Vornahme einer Strafanzeige bei den Behörden.
Eine solche selbstverpflichtende Anzeige soll beispielsweise dann erfolgen, wenn die entdeckte Straftat eine besondere Schwere aufweist. Das Unternehmen verpflichtet sich damit unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu einem Automatismus, der jedoch zum Bumerang werden kann. Denn vor Erstattung einer Anzeige sollte das Unternehmen prüfen, ob die damit erhofften Vorteile die möglichen Nachteile überwiegen. Handelt es sich um den Fall eines Einzeltäters oder eher um ein systemisches Problem? Hat das Unternehmen alles getan, damit es nicht zu einem solchen Vorfall kommt? Und gibt es möglicherweise weitere Fälle von Fehlverhalten? Diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung, bevor eine Strafanzeige in Betrachtung gezogen wird. Umgekehrt kann im konkreten Einzelfall auch eine Anzeige sinnvoll sein: So z. B. wenn zu erwarten ist, dass in jedem Fall eine staatsanwaltliche Ermittlung erfolgen wird. Für und Wider sind im jeweiligen Einzelfall abzuwägen. Erst nach dieser ausführlichen Betrachtung sollte das Unternehmen die Entscheidung treffen, ob eine Strafanzeige die bestmögliche Entscheidung darstellt. Wir empfehlen daher Unternehmen, sich die Entscheidung für einen Gang zur Staatsanwaltschaft grundsätzlich offen zu halten.Im elften und letzten Teil unserer Blog-Serie werden wir die wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassen und präsentieren Ihnen unsere zehn „Dos and Don’ts“ rund um das Thema „EU-Whistleblower-Richtlinie “. An dieser Stelle! In zwei Wochen!
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