Im Editorial der CCZ (3/2024) plädiert RA Dr. Rainer Buchert, Partner der Kanzlei Buchert Jacob Partner, Frankfurt, für eine primär wertebasierte Compliance, die Vorschriftenkataloge nicht weiter aufbläht, sondern nur behutsam ergänzt und im Idealfall mutig kürzt.
Greenwashing, Bluewashing, CSRD-Umsetzung, Cyberprävention, europäische Lieferketten-Richtlinie, KI-Regeln – die Compliance-Welt und insbesondere die, die sie gestalten (müssen), stöhnen über immer neue gesetzliche Vorschriften mit Compliance-Relevanz. Dies alles vor dem Hintergrund einer aktuell fragilen Wirtschaftslage mit einer sich rasant verändernden Arbeitswelt – technologische, insbesondere digitale Transformation ist nur ein Stichwort dazu. Dem Gewohnheitstier Mensch missfallen Änderungen jeglicher Art – er neigt zum Widerstand.
Zögerliche Haltungen kollidieren indes mit dem unternehmerischen Erfordernis, sich neuen Herausforderungen zu stellen, Änderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen, sich notfalls sogar neu zu erfinden. Vermehrt aber auch unter sehr hohem Druck Entscheidungen zu treffen, Ungewissheiten auszuhalten und mehr zu wagen. Unternehmen bedeutet eben auch etwas zu unternehmen – Risiken und Fehler eingeschlossen. Aber es gilt doch keine Fehler zu machen, stets compliant zu sein und Haftungsrisiken unbedingt zu vermeiden – oder? Der feine Unterschied zwischen Fehlern und Fehlverhalten wird oft übersehen. Dabei ist die Business Judgment Rule seit annähernd 30 Jahren anerkanntes Recht.
In dem undifferenzierten Bemühen, nichts aus dem Ruder laufen zu lassen, gibt es in vielen Unternehmen den Automatismus auf neue gesetzliche Vorgaben mit neuen internen Richtlinien zu reagieren. Die jeder zur Kenntnis nehmen muss und was auch akribisch dokumentiert wird. Man muss ja wissen, wen man im Fall des Falles an den Ohren ziehen kann… Die Vergitterung der Rechtslandschaft wird so bürokratisierend in die Belegschaft getragen. Das, worüber Klage geführt wird, wird selbst perpetuiert und nicht selten sogar multipliziert. Aber wer fühlt sich in einer Welt wohl in der er von einem Wust von Vorschriften umgeben ist? Richtlinien und Vorgaben, die er nicht selten gar nicht versteht oder überblickt, aber unter Sanktionsandrohung strikt befolgen soll.
Vor diesem Hintergrund erlaube ich mir ein nachhaltiges Plädoyer für eine primär wertebasierte Compliance, die Vorschriftenkataloge nicht weiter aufbläht, sondern nur behutsam ergänzt und im Idealfall sogar mutig kürzt. Fast überall kann Historisches und Unsinniges über Bord geworfen werden. Ja, auch der Compliance-Verantwortliche muss wie der Unternehmer etwas wagen. Compliance ist, was mancher vergessen zu haben scheint, ja kein Selbstzweck, sondern ein nur dienendes wenngleich bedeutsames Element. Natürlich bedarf es gerade in einer multikulturellen Arbeitswelt einiger Leitplanken – aber eben nicht eines immer weiter anschwellenden Konvoluts an Vorschriften. Wenige grundsätzliche Regeln sind oft besser als detailverliebte Beschreibungen.
Wie man sich in Regelwerken verheddern kann, zeigt ein Beispiel zur Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes. Ein Unternehmen musste feststellen, dass seine interne Richtlinie zum HinSchG mehrfach gesetzeswidrige Passagen beinhaltete, weil die Umsetzung der EU-Richtlinie in verschiedenen europäischen Ländern nicht 1:1 sondern unterschiedlich erfolgt ist. „One fits not all“ war die Erkenntnis; die Richtlinien mussten geändert und an die jeweiligen rechtlichen Gegebenheiten in den Ländern angepasst werden. Geschickter agierte ein anderes Unternehmen, das gar keine Richtline zum HinSchG und LkSG erlassen hat, sondern den Meldeprozess und das Verfahren – anschaulich grafisch unterlegt – nur beschrieben hat. Puristisch aber sehr praxisgerecht.
Ordnungshüter – im gesellschaftlichen Leben wie in der Unternehmenswelt – neigen dazu repressive Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Schon deshalb, weil sie sichtbarer und messbarer sind. Viel wichtiger ist es aber präventiv zu agieren und Fehlverhalten umfassend vorzubeugen. Der wertebasierte Ansatz ist dafür der richtige Weg. Die Werte, denen sich ein Unternehmen verpflichtet fühlt und die es in einem Code of Conduct niedergelegt oder auf Büttenpapier gedruckt hat, dürfen nicht in einer Vorschriftensammlung ruhen, sondern müssen von jedem Einzelnen gelebt werden. Ziel muss es doch sein, dass sich ein Unternehmen oder eine Unternehmenseinheit als Sinngemeinschaft versteht, der sich jeder Mitarbeitende verbunden fühlt. Menschen erstreben und brauchen eine solche Bindung. Sie wollen stolz auf das Unternehmen sein können, für das sie arbeiten. Und wenn sie diesen Stolz haben (dürfen), dann treten sie auch für die Werte des Unternehmens ein – ohne Wenn und Aber und auch ohne gängelnde Vorschriften. Eine gute Unternehmenskultur, die zugleich auf Achtsamkeit und gegenseitiger Wertschätzung beruht, ist Prävention erster Klasse. Denn Kultur ist die Summe der unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten. Und ganz nebenbei kommt man damit den Vorstellungen der auf dem Arbeitsmarkt umkämpften Generation Z näher, die Gängelungen hasst und zu flexibleren Bedingungen arbeiten möchte.
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