Anfangsverdacht

Der Begriff des Anfangsverdachts wird in der Strafprozessordnung (StPO) nicht explizit definiert. Stattdessen beschreibt das Gesetz das Vorliegen „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ als Voraussetzung für dessen Entstehung. Der Zweck des Anfangsverdachts ist der Schutz des Bürgers vor unbegründeten staatlichen Übergriffen, insbesondere Willkür. Er legt fest, ab wann ein Bürger mit strafprozessualen Zwangsmaßnahmen rechnen muss und als Beschuldigter behandelt wird, was insbesondere eine Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 S. 2, 3 nach sich zieht. Zudem soll er verhindern, dass Ermittlungsbehörden ohne konkreten Bezug zu einer Straftat Daten erheben.

Anforderungen an den Anfangsverdacht

Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn kriminalistische Erfahrung darauf hindeutet, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden sein könnte, was die Möglichkeit einer Verurteilung impliziert. Dies umfasst vier Komponenten:

  1. Die Begehung einer Straftat.
  1. Die Einordnung der Tat unter einen Straftatbestand.
  1. Der Nachweis der Tatbegehung mit prozessual zulässigen Beweismitteln.
  1. Das Fehlen von Verfahrenshindernissen.

Es ist nicht notwendig, dass der Verdachtsgrad die Anklageerhebung rechtfertigen kann; vielmehr sollen die notwendigen Beweise im Ermittlungsverfahren gesammelt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung kann unter 50 % liegen. Der Verdachtsgrad für eine Anklageerhebung ist der hinreichende Tatverdacht.

Der Anfangsverdacht erfordert ein geringeres Maß an Gewissheit im Vergleich zu einem hinreichenden oder dringenden Tatverdacht. Diese Begrifflichkeiten sind alle mit der Unsicherheit und Fehleranfälligkeit von Prognosen über mögliche Verurteilungen verbunden. Beispielsweise bezeichnet die „Tatentdeckung“ (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, die auf objektiven und subjektiven Tatbeständen basiert.

Ein fehlender Anfangsverdacht könnte zu Problemen bei der Einziehung von Vermögenswerten nach § 76a Abs. 4 StGB führen, da für solche Maßnahmen ein vorher festgestellter Anfangsverdacht erforderlich ist.

Grundlagen der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Einschätzungen auf konkrete Tatsachen zu stützen, die möglicherweise durch frühere Ermittlungen untermauert sind. Zwar können auch Ungereimtheiten, Gerüchte oder Informationen von Dritten für die Meinungsbildung herangezogen werden, jedoch sollte die Staatsanwaltschaft nicht durch offensichtliche Falschmeldungen beeinflusst werden. Verdächtigungen, die als bloße Strategien in Zivilverfahren eingesetzt werden, sollten mit Vorsicht betrachtet werden.

Anfangsverdacht und Compliance

Die Verpflichtung des Vorstands (Geschäftsführung) zur Aufklärung von Non-Compliance ist grundsätzlich anerkannt, jedoch stellt sich in der Praxis häufig die Frage nach der maßgeblichen Aufgriffsschwelle (Anfangsverdacht). Dies bezieht sich darauf, welche Anforderungen an vorliegende Verdachtsmomente gestellt werden müssen, um die Aufklärungspflicht der zuständigen Organe auszulösen.

Die Rechtsprechung hat sich bisher wenig mit der spezifischen Verdachtsschwelle für die Einleitung interner Untersuchungen beschäftigt, und auch in der Literatur herrscht Uneinigkeit. Einige Autoren halten bereits einfache „Anhaltspunkte“ für ausreichend, während andere „schlüssige Verdachtsmomente“ oder „hinreichende Anhaltspunkte für erhebliche Compliance-Verstöße“ verlangen.

Für mehr Rechtssicherheit könnte auf die Definition des strafrechtlichen Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden. Dieser verlangt, dass der Anfangsverdacht auf „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“ beruhen muss, die konkrete Tatsachen belegen, die auf eine Straftat hindeuten. Vermutungen oder theoretische Überlegungen genügen nicht.

Um eine Pflicht zur Aufklärung auszulösen, müssen die Verdachtsmomente folgende Kriterien erfüllen:

  1. Sie müssen auf einem konkreten Tatsachenkern beruhen.
  1. Sie müssen einen möglichen Rechtsverstoß im Unternehmen anzeigen.
  1. Der potenzielle Rechtsverstoß muss für die Compliance relevant sein.

Anfangsverdacht und interne Ermittlungen

Die Grundlage für eine interne Untersuchung bildet ein Anfangsverdacht. Liegt ein solcher vor, ist die Unternehmensleitung verpflichtet, eine Untersuchung durchzuführen, ohne Ermessensspielraum.

Es gibt verschiedene Modalitäten, durch die ein Anfangsverdacht festgestellt werden kann, wie etwa behördliche Durchsuchungen, eingehende Meldungen über Hinweisgebersysteme und Aufdeckungen während Audits. In der Regel begründen diese Umstände ausreichend einen Verdacht, der die Notwendigkeit einer internen Untersuchung mit sich bringt.

Eine universelle Definition für den Anfangsverdacht ist jedoch nicht möglich, da dessen Vorliegen von der Authentizität und Schlüssigkeit der jeweiligen Verdachtsmomente abhängt. Es ist wichtig, die Feststellung des Anfangsverdachts gut zu dokumentieren.

Eine behördliche Durchsuchung führt stets zu einem Anfangsverdacht, da einem Ermittlungsrichter im Voraus die notwendigen Indizien präsentiert werden müssen. Hinweise von zuverlässigen Mitarbeitern oder externen Beratern sind meist authentisch und ebenfalls ausschlaggebend für einen Anfangsverdacht. Interne Audits, die im Rahmen eines Compliance-Programms durchgeführt werden, liefern zudem belastbare Hinweise, die zuvor auf deren Schlüssigkeit geprüft wurden.

Externe Hinweise, insbesondere anonyme Meldungen, erfordern eine sorgfältige Prüfung auf Authentizität und Schlüssigkeit.

Die Häufigkeit und Übereinstimmung der erhaltenen Hinweise sind ebenso entscheidend. Konsistente Meldungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit, während divergente Hinweise gegen ihre Schlüssigkeit sprechen. Anonyme mündliche Hinweise gelten als weniger verlässlich im Vergleich zu schriftlichen, dokumentierten Meldungen.

Es ist zu beachten, dass bloße Vermutungen, die eher als Gerüchte betrachtet werden, keinen Anfangsverdacht begründen können und somit keine interne Untersuchung rechtfertigen.

Schließlich müssen die potenziellen Konsequenzen für das Unternehmen bei der Bewertung eines Anfangsverdachts ebenfalls berücksichtigt werden. Bei besonders schwerwiegenden Folgen wird eine interne Untersuchung eher als erforderlich angesehen als bei weniger gravierenden Vorfällen.

Anfangsverdacht im Steuerstrafverfahren

Das Steuerstrafverfahren setzt, wie jedes Strafverfahren, einen Anfangsverdacht voraus (§ 386 Abs. 1 S. 1 AO, § 152 StPO). Dieser Beginn ist essenziell und erfordert „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat“; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus.

Oftmals erlangt die Finanzbehörde bereits im Besteuerungsverfahren die notwendigen Kenntnisse, aus denen sich dann das Steuerstrafverfahren ableitet.

Ein Anfangsverdacht kann sich auch aus der Gestaltung steuerlich relevanter Sachverhalte ergeben, die auf eine Verschleierungsabsicht hinweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies beispielsweise anerkannt, wenn bei einem Kreditinstitut – trotz bestehender Konten und Depots – Wertpapiergeschäfte als Tafelgeschäfte durchgeführt werden. Ähnliche Überlegungen gelten auch für „OR-Geschäfte“ und das Rechnungssplitting.

 

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