Die Auslieferung bezeichnet die Überstellung einer Person an einen anfragenden Staat oder internationalen Gerichtshof zum Zweck der Strafverfolgung oder -vollstreckung. In Deutschland ist das Verfahren durch das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) sowie durch internationale Abkommen geregelt.
1. Internationale Abkommen
Europäisches Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk)
Das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk), das am 13. Dezember 1957 im Rahmen des Europarats ausgehandelt wurde, stellt die grundlegende Konvention für das vertragliche Auslieferungsrecht in Europa und darüber hinaus dar. Es regelt sowohl die Verpflichtungen zur Auslieferung als auch zur Durchlieferung durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaates (Artikel 21) sowie die Herausgabe von damit verbundenen Gegenständen (Artikel 20).
Das EuAlÜbk ist zwischen Deutschland und den 45 Mitgliedstaaten des Europarats, sowie Israel, Korea und Südafrika anwendbar. Obwohl die Russische Föderation weiterhin Vertragsstaat ist, beteiligt sie sich de facto nicht mehr am inner-europäischen Auslieferungsverkehr.
Auslieferungsverkehr auf EU-Ebene
Der Auslieferungsverkehr innerhalb der Europäischen Union erfolgt auf Grundlage des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RB-EUHb). Deutschland hat den RB-EUHb 2006 durch das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) weitgehend im Rahmen des Internationalen Rechtshilfegesetzes (IRG) integriert.
Bilaterale Verträge
Von den bilateralen Ergänzungsverträgen zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) hat lediglich der Vertrag mit der Schweiz, der nicht durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (RB-EUHb) verdrängt wurde, weiterhin praktische Relevanz. Dieser Vertrag behandelt insbesondere die für den Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vorteilhafte Verjährungsregelung.
Zusätzlich bestehen bilaterale Auslieferungsverträge mit Ländern wie Australien, Kanada, den USA, Tunesien und Indien. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das Auslieferungsabkommen mit der Sonderverwaltungszone Hongkong der Volksrepublik China mittlerweile ausgesetzt ist.
Das EU-weite Auslieferungsübereinkommen mit den USA kommt nicht unmittelbar zur Anwendung, sondern verpflichtet nur die EU-Mitgliedstaaten, bilaterale Vereinbarungen mit den USA in ähnlichem Umfang zu treffen. Deutschland hat diesem Erfordernis durch den Zusatzvertrag zum deutsch-amerikanischen Auslieferungsvertrag vom 18. April 2006 Rechnung getragen.
2. IRG
Ausgangspunkt zu eingehenden und ausgehenden Rechtshilfeersuchen ist das Internationale Rechtshilfegesetz (IRG). Bei der Festlegung der anzuwendenden Norm wird zwischen Rechtshilfeersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten, Island oder Norwegen einerseits und an sonstige Staaten andererseits unterschieden. Detaillierte Informationen und Verfahrenshinweise sind insbesondere den Richtlinien zur Anwendung des IRG (RiVASt) zu entnehmen.
Für nicht-EU-Staaten gelten die allgemeinen Bestimmungen des IRG, sofern keine speziellen völkerrechtlichen Vereinbarungen Vorrang haben. Bei Vollstreckungs- und sonstigen Rechtshilfeersuchen sind auch Island und Norwegen einbezogen. Völkerrechtliche Regelungen haben Vorrang vor dem IRG, wenn sie direkte Anwendung finden. Das IRG kommt zur Anwendung, wenn es an spezifischen vertraglichen Regelungen fehlt oder wenn gesetzliche Regelungen für den Einzelfall günstiger sind. Umgekehrt ist eine Rechtshilfehandlung, die gemäß IRG unzulässig wäre, gemäß Vertrag dennoch möglich.
3. Rechtshilfevoraussetzungen und -hindernisse
a) Staatsorientierte Voraussetzungen und Hindernisse
Gegenseitigkeit
Die Gegenseitigkeit ist eine zentrale Voraussetzung für die Rechtshilfe, die fordert, dass der ersuchende Staat im umgekehrten Fall ebenfalls zur Unterstützung bereit sein muss. Insbesondere im vertraglosen Bereich ist diese Anforderung wichtig, da internationale Abkommen meist gegenseitige Verpflichtungen beinhalten.
Ausnahmen für bestimmte Delikte
Ausnahmen von der Gegenseitigkeit bestehen für militärische, fiskalische und rein politische Delikte.
b) Individualrechtliche Voraussetzungen und Hindernisse
Eigene Ausnahmeregeln
Das deutsche Recht sieht zahlreiche Ausnahmen von der Rechtshilfeverpflichtung im Interesse des Individuums vor. Dazu zählen etwa drohende Todesstrafen, politische Verfolgung oder überraschende Abwesenheitsurteile. Außerdem sind grundlegende Prinzipien der deutschen oder EU-Rechtsordnung zu beachten, vorwiegend in Bezug auf die Wahrung der Grundrechte.
c) Voraussetzungen und Hindernisse mit Doppelcharakter
Auslieferungsfähigkeit und Verhältnismäßigkeit
Die Auslieferungsfähigkeit und Mindestvollstreckungsdauer definieren Bedingungen, unter denen Rechtshilfemaßnahmen aus Sicht der beteiligten Staaten als gerechtfertigt gelten. Die eigene Staatsangehörigkeit dient als wichtiges Auslieferungshindernis gegenüber Nicht-EU-Staaten, während die EU-Rechtsordnung sicherstellt, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gleich behandelt werden.
Prüfung der Strafbarkeit
Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit ist eng mit der Gegenseitigkeit verbunden und prüft, ob das Verhalten des Verfolgten auch nach dem Recht des ersuchten Staates strafbar ist. Es gilt insbesondere für internationale Auslieferungen und Vollstreckungshilfen. Die Relevanz der Verjährung wird betont, da sie als Auslieferungshindernis fungiert, vornehmlich in Bezug auf die Rechtsordnung des ersuchenden Staates.
Verbot der Doppelverfolgung
Das Verbot der Doppelverfolgung schützt das Vertrauen von verurteilten Personen und deren Chancen auf Resozialisierung.
Prinzip der Spezialität
Das Prinzip der Spezialität gewährleistet, dass eine ausgelieferte Person ausschließlich wegen der Tat verfolgt werden kann, aufgrund deren die Auslieferung genehmigt wurde. Die rechtlichen Rahmenbedingungen verlangen, dass der ersuchende Staat Einschränkungen seiner Hoheitsrechte akzeptiert, was in der Praxis problematisch sein kann, wenn Rückgriff auf diese Zusagen nicht möglich ist.
4. Das Verfahren im Detail
Das formelle Auslieferungsverfahren beginnt mit dem Einreichen eines förmlichen Auslieferungsersuchens und ist in zwei Hauptphasen unterteilt: das gerichtliche Zulässigkeitsverfahren und das anschließende behördliche Bewilligungsverfahren. Gemäß den §§ 13 und 14 IRG ist das Oberlandesgericht (OLG) für das Zulässigkeitsverfahren zuständig. Sollte das OLG die Auslieferung für zulässig erklären, folgt die Entscheidung über das Ersuchen durch die Bewilligungsbehörde, üblicherweise das Bundesamt für Justiz gemäß § 74 IRG. Nach einer Zustimmung zur Auslieferung veranlasst die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) die Übergabe des verfolgten Individuums an die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates.
Wurde der Betroffene aufgrund eines internationalen Haftbefehls, vorläufig festgenommen, wird er umgehend auf Antrag der GenStA einem Richter des nächstgelegenen Amtsgerichts (AG) vorgeführt. Dort erfolgt eine Vernehmung des Verfolgten und die Belehrung über das Recht auf Unterstützung eines Beistands. Der Amtsrichter hat jedoch keine Befugnis zur Prüfung des Tatvorwurfs oder zur Freilassung des Betroffenen, es sei denn, das Ersuchen betrifft nicht dessen Identität. In der Regel wird ein unanfechtbarer Beschluss erlassen, der die weitere Festhaltung des Betroffenen bis zur Entscheidung des OLG über die vorläufige Auslieferungshaft anordnet. Die GenStA beantragt anschließend umgehend beim zuständigen OLG die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft.
Die Zulässigkeit dieser Haft richtet sich nach den Vorgaben aus Artikel 15 IRG und erfordert einen spezifischen Haftgrund. Nach Erlass der vorläufigen Auslieferungshaft hat das OLG die formellen und materiellen Voraussetzungen der Auslieferung zu prüfen, wobei es im Zulässigkeitsverfahren nicht in eine materielle Tatprüfung einsteigt. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob der ersuchende Staat die Begehung einer auslieferungsfähigen Straftat schlüssig behauptet. In besonderen Fällen kann das OLG jedoch eine Tatverdachtsprüfung vornehmen. Vor einer Zulässigkeitsentscheidung muss dem Betroffenen Akteneinsicht und rechtliches Gehör gewährt werden. Auf Antrag der GenStA entscheidet das OLG schließlich über die Zulässigkeit der Auslieferung und erlässt gegebenenfalls auch die förmliche Auslieferungshaft.
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