Das Steuerstrafrecht stellt eine Form des Blankettstrafrechts dar. In den §§ 369 ff. der Abgabenordnung (AO) sind zwar verschiedene Regelungen zu den strafrechtlichen Konsequenzen bestimmter Zuwiderhandlungen verankert, die genaue Auslegung und Anwendung dieser Regelungen erfolgt jedoch durch Verweis auf die allgemeinen Bestimmungen des Strafrechts (§ 369 Abs. 2 AO) sowie die Spezialvorschriften in den Einzelsteuergesetzen. Insbesondere der Grundtatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO ist eng mit dem besonderen Steuerrecht verbunden.
Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO macht sich derjenige der Steuerhinterziehung strafbar, der den Finanzbehörden über steuerlich relevante Tatsachen falsche oder unvollständige Angaben macht oder sie pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen im Unklaren lässt. BEs können Situationen eintreten, in denen zwar ein erhöhtes steuerliches Ergebnis festgestellt wird, steuerstrafrechtlich jedoch keine Steuerverkürzung vorliegt oder nicht nachgewiesen werden kann, insbesondere wenn strafrechtliche Grundsätze wie in dubio pro reo Anwendung finden. Umgekehrt können Fälle vorkommen, in denen keine steuerliche Mehrerhebung ermittelt wird, jedoch trotzdem eine Steuerverkürzung im Sinne des § 370 AO gegeben ist; dies fällt unter das sogenannte Kompensationsverbot, wie in § 370 Abs. 4 Satz 3 AO festgelegt.
In der praktischen Anwendung sind es meist die Finanzbehörden, die im Rahmen der Verfolgung von Steuerstraftaten ermitteln, anstelle der Staatsanwaltschaft, deren Rechte und Aufgaben sie in diesem Zusammenhang wahrnimmt (§ 386 Abs. 1 AO). Die sachliche Zuständigkeit obliegt der Finanzbehörde, die für die betroffene Steuer zuständig ist (§ 387 Abs. 1 AO), während die örtliche Zuständigkeit in § 388 AO geregelt ist.
Innerhalb der Finanzbehörden sind die sogenannten Straf- und Bußgeldsachenstellen (StraBu) oder Bußgeld- und Strafsachenstellen (BuStra) für die Ermittlungen verantwortlich. Diese Stellen sind häufig für mehrere Finanzämter zuständig und als Teilbereiche der Finanzämter organisiert; in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt es spezielle Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung.
Die Steuerfahndung ermittelt im Auftrag der Strafsachenstellen oder der Staatsanwaltschaften und fungiert als deren Vollzugsorgan. Sie besitzt jedoch keine staatsanwaltschaftlichen Befugnisse und wird oft als „Steuerkriminalpolizei“ bezeichnet. Wenn die Tat nicht ausschließlich als Steuerstraftat eingestuft wird (§ 386 Abs. 2 AO) oder ein Haft- oder Unterbringungsbefehl gegen den Beschuldigten erlassen wurde (§ 386 Abs. 3 AO), obliegt die funktionelle Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren.
Die Staatsanwaltschaft hat das Recht, Strafsachen, die in den Zuständigkeitsbereich der Finanzbehörde fallen, jederzeit an sich zu ziehen (§ 386 Abs. 4 S. 2 AO, auch bekannt als Evokationsrecht). Im Gegenzug kann die Finanzbehörde eine Strafsache an die Staatsanwaltschaft abgeben (§ 386 Abs. 4 S. 1 AO). In beiden Fällen besteht die Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft die Strafsache im Einvernehmen mit der Finanzbehörde an diese zurückgibt (§ 386 Abs. 4 S. 3 AO).
Besondere Formen und Konstellationen der Steuerhinterziehung:
Umsatzsteuerhinterziehung
Umsatzsteuerhinterziehung ist eine Form der Steuerhinterziehung, die in vielen Ländern, einschließlich Deutschland, eine erhebliche Herausforderung für die Finanzverwaltung darstellt. Sie betrifft sowohl Unternehmen, die Umsatzsteuer erheben und abführen müssen, als auch Verbraucher, die die letztendliche Steuerlast tragen. Diese Form der Steuerhinterziehung kann schwerwiegende rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Definition der Umsatzsteuerhinterziehung
Umsatzsteuerhinterziehung umfasst die absichtliche Manipulation von Umsatzsteuererklärungen, um die Zahlung der geschuldeten Umsatzsteuer zu vermeiden oder zu reduzieren. Dies kann durch folgende Handlungen geschehen:
- Nichtabgabe oder falsche Angabe von Umsatzsteuererklärungen: Unternehmen reichen keine oder falsche Steuererklärungen ein, in denen sie zu niedrige Umsätze oder falsche Vorsteuerabzüge angeben.
- Falsche Rechnungsstellung: Die Ausstellung falscher Rechnungen, die keine Umsatzsteuer ausweisen oder mit nicht existierenden oder überhöhten Beträgen angeben.
- Unterlassen von Umsatzsteueranmeldungen: Unternehmen, die keine Umsatzsteuererklärung abgeben, obwohl sie umsatzsteuerpflichtige Umsätze erzielt haben.
Formen der Umsatzsteuerhinterziehung
- Scheingeschäfte: Es werden Geschäfte vorgetäuscht, um Umsatzsteuervorteile zu erlangen. Dies kann durch Fake-Rechnungen oder durch den Handel mit nicht existierenden Waren geschehen.
- Karussellgeschäfte: Komplexe Handelsstrukturen, bei denen Waren mehrmals zwischen verschiedenen Unternehmungen hin- und hergeschoben werden, um Umsatzsteuerbeträge zu ergaunern.
- Missbrauch von Vorsteuerabzügen: Das Ausweisen von Vorsteuerbeträgen, die nicht rechtmäßig geltend gemacht werden können, etwa durch die Verwendung von gefälschten Rechnungen.
Illegale Beschäftigung
Illegale Beschäftigung (insbesondere ) im Baugewerbe (auch im Security- und Reinigungsgewerbe) ist ein häufiges Thema in der Strafverteidgiung.
Häufig wird die illegale Beschäftigung durch die Einschaltung sogenannter „Serviceunternehmen“ in die Praxis umgesetzt, um die Aktivitäten von Kolonnenschiebern zu verschleiern.
Mechanismen der Steuerhinterziehung im Baugewerbe
Wie bei den sogenannten Umsatzsteuerschäufelgeschäften (USt-Karussellgeschäften) sind auch die illegalen Arbeitnehmerüberlassungen durch Kettengeschäfte gekennzeichnet, bei denen Serviceunternehmen involviert sind. Diese Unternehmen generieren Einkünfte vor allem durch den Handel mit Scheinrechnungen und betreiben somit eine „Steuerhinterziehung als Gewerbe“. Diese Differenzierung ist entscheidend, da sie sich erheblich von den Fällen unterscheidet, in denen Steuerpflichtige rechtmäßig erzielte Einkünfte verschweigen, um diese für sich zu nutzen. Diese Unterscheidung muss im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden.
Durch die Hinterziehung von Umsatzsteuer (USt), Einkommensteuer (ESt) sowie Körperschaftsteuer (KSt) kommen weitere Schäden im Bereich der Lohnsteuer (LSt) und der Sozialabgaben gemäß § 266a StGB hinzu, sowie Betrug gegenüber der SOKA Bau.
Die vorgeworfenen Schäden gehen schnell in den zweistelligen Millionenbereich. Dies ist vielen Akteuren nicht bewusst.
Steuerhinterziehung bei verdeckten Gewinnausschüttungen
Verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG) sind Vermögensminderungen oder verhinderte Vermögensmehrungen, die durch das Gesellschaftsverhältnis bedingt sind und die Einkünfte der Körperschaft beeinflussen, ohne im Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung zu stehen. Sie zählen zum zu versteuernden Einkommen der Körperschaft und können zu einer Steuerverkürzung führen, wenn sie nicht ordnungsgemäß erklärt werden.
Darüber hinaus unterliegen vGA auf Ebene des Gesellschafters der Einkommensteuer (ESt) als Einkünfte aus Kapitalvermögen, wobei ein Zufluss beim Gesellschafter oder einer ihm nahestehenden Person erforderlich ist.
Wenn Gesellschafter einer GmbH auf Veranlassung die Ausstellung von Scheinrechnungen veranlassen und diese Zahlungen nach Abzug einer „Provision“ an sich weiterleiten, stellt dies ebenfalls eine vGA dar.
Darüber hinaus kann bei der Nichterklärung von verdeckten Gewinnausschüttungen die Hinterziehung von Körperschaftsteuer (KSt) und Einkommensteuer als selbständige Straftaten nebeneinander bestehen.
Strafen für Steuerstraftaten
Steuerstraftaten werden mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft. Besonders schwerwiegende Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 III), Schmuggel (§ 373) sowie gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhehlerei (§ 374 II) sind ausschließlich mit Freiheitsstrafe bedroht. In minder schweren Fällen können bei Schmuggel und gewerbs- oder bandenmäßiger Steuerhehlerei auch Geldstrafen verhängt werden.
Das Höchstmaß der Freiheitsstrafe beträgt für Steuerstraftaten fünf Jahre. Bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung, Schmuggel und gewerbs- oder bandenmäßiger Steuerhehlerei kann die Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahre betragen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2012 festgestellt, dass in Fällen von Steuerhinterziehung in Millionenhöhe, die typischerweise als besonders schwer gelten, eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen erheblicher Milderungsgründe in Betracht kommt. Diese Regelung ist jedoch nicht auf die Fälle nach § 266a StGB anwendbar.
Verjährung von Steuerhinterziehung
Die Verjährung von Steuerhinterziehung ist ein bedeutsames Thema im Steuerstrafrecht, das sowohl die strafrechtliche Verfolgung als auch die steuerlichen Ansprüche betrifft. Die Regelungen zur Verjährung sind in den entsprechenden Gesetzen festgelegt und variieren je nach Art des Vergehens.
Allgemeine Verjährungsfristen
- Strafrechtliche Verjährung:
- Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB beträgt die Verjährungsfrist für die Steuerhinterziehung in der Regel fünf Jahre.
- Bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung seit 2020 (wegen unteranderem CumEx) fünfzehn Jahre.
- Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ende der Tat, also dem Zeitpunkt, an dem die Steuerhinterziehung wirksam wurde.
- Steuerliche Verjährung:
- Die Verjährung für die Steuerforderung selbst richtet sich nach § 47 der Abgabenordnung (AO). So beträgt die Verjährungsfrist für die Erhebung einer Steuerforderung in der Regel vier Jahre, beginnend mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.
- Bei vorsätzlichen Steuerhinterziehungen kann die Verjährungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO auf bis zu zehn Jahre verlängert werden.
Hemmung und Unterbrechung der Verjährung
Die Verjährung kann durch verschiedene Umstände gehemmt oder unterbrochen werden:
- Hemmung der Verjährung: Die Verjährungsfrist wird gehemmt, wenn der Steuerpflichtige seine steuerlichen Pflichten nicht erfüllt oder wenn ein Strafverfahren anfängt. Dies kann beispielsweise durch eine Prüfung durch die Finanzbehörden oder durch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geschehen.
- Unterbrechung der Verjährung: Eine Unterbrechung tritt ein, wenn (beispielsweise) ein Strafverfahren eingeleitet wird oder ein gerichtliches Verfahren stattfindet. Die Verjährung beginnt nach Beendigung des Verfahrens von neuem zu laufen.
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