Umsatzsteuerkarussell: Struktur und Funktionsweise
Die Struktur und der Ablauf eines „echten Umsatzsteuerkarussells“ werden wie folgt beschrieben:
Funktionsweise eines Umsatzsteuerkarussells
Im Regelfall funktioniert ein Umsatzsteuerkarussell so, dass Waren aus einem anderen EU-Mitgliedstaat steuerfrei an einen Erwerber innerhalb des Landes verkauft werden. Dieser Erwerber, bekannt als „Missing Trader“, verkauft die Ware mit minimalem Aufschlag an einen Abnehmer, der als „Buffer I“ bezeichnet wird. Buffer I zieht den in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer ab, während der Missing Trader von vornherein keine Umsatzsteuer zahlt und somit nicht rechtlich belangt werden kann.
Buffer I verkauft die Ware an einen weiteren Wettbewerber, bekannt als Buffer II. Dieser verkauft die Waren mit einem Gewinnaufschlag, der jedoch die Höhe der vom Missing Trader hinterzogenen Steuer nicht übersteigt. Schließlich veräußert Buffer II die Waren nach dem Vorsteuerabzug an einen Exporteur, auch als „Distributor“ bekannt, der die Waren steuerfrei in den Ursprungsmitgliedstaat verkauft und die berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.
Erweiterungsmöglichkeiten des Umsatzsteuerkarussells
Das vom BFH aufgeführte Grundmodell eines Umsatzsteuerkarussells kann je nach Bedarf angepasst und erweitert werden. Beispielsweise können zusätzliche Buffer eingesetzt werden oder der gesamte Kreislauf kann über mehrere EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt werden. Darüber hinaus sind Kombinationen aus rein fiktiven und tatsächlichen Warenbewegungen möglich. Die Vergütung der Beteiligten muss nicht zwingend auf einem festgelegten Gewinnaufschlag beruhen; stattdessen kann eine alternative „Gewinnverteilung“ erfolgen, etwa durch geringere Gewinnaufschläge oder Rückvergütungen.
Die Rolle vorsatzloser Dritter im Umsatzsteuerkarussell
Die Einbindung vorsatzloser Dritter als zusätzliche Elemente in das Umsatzsteuerkarussell ist ein typisches Merkmal dieser Konstrukte. Diese werden als „unechte Umsatzsteuerkarusselle“ bezeichnet und führen häufig dazu, dass ein Großteil der an den Geschäftsabläufen Beteiligten als Beschuldigte in Ermittlungen geführt werden. Viele der beteiligten Dritten sind sich oft nicht einmal ihrer Rolle im Umsatzsteuerkarussell bewusst und fungieren lediglich als „Buffer“.
Sinn und Zweck der Einbindung vorsatzloser Dritter
Die Einbindung von vorsatzlosen Dritten hat verschiedene Ziele. Ein zentrales Motiv ist, die unmittelbaren Transferwege zu verschleiern. Unternehmen, die häufig in umsatzsteuerkarussellbetroffenen Handelsbereichen tätig sind, wie im Handel mit IT-Komponenten, Mobiltelefonen oder Kraftfahrzeugen, bieten sich hierfür besonders an.
Zusätzlich benötigen die vorsätzlich handelnden Akteure des Umsatzsteuerkarussells bestimmte Fähigkeiten oder Ressourcen, die sie nicht selbst bereitstellen können. Dies trifft insbesondere auf tatsächliche Warenbewegungen zu, für die Lager- und Liefermöglichkeiten von Speditionen erforderlich sind, über die die Initiatoren oft nicht verfügen.
Oft werden dafür alteingesessene Unternehmen benutzt.
Zudem ist es für die Betreiber eines Umsatzsteuerkarussells profitabler, gutgläubige Lieferanten und Abnehmer zu integrieren.
Strafprozessuale Folgen für vorsatzlose Unternehmer
Die strafprozessualen Konsequenzen für vorsatzlose Unternehmer, die in einen Umsatzsteuerkarussellbetrug involviert sind, können gravierender sein als die steuerverfahrensrechtlichen Folgen. Diese Konsequenzen betreffen sowohl die persönliche als auch die betriebliche Situation erheblich.
Untersuchungshaft, Durchsuchung und Dinglicher Arrest
Wenn die Strafverfolgungsbehörden ausreichende Anhaltspunkte für die Existenz eines Umsatzsteuerkarussells feststellen, kann es zur Verhaftung und/oder zur Arrestierung von Privat- und Geschäftsvermögen kommen. In der Regel werden gleichzeitig Durchsuchungen durchgeführt sowie Beweismittel beschlagnahmt oder sichergestellt. Bei der Beschlagnahmung von wichtigen Dokumenten, die für den laufenden Betrieb von Bedeutung sind, müssen Kopien angefertigt werden. Dies erleichtert nicht nur den Geschäftsbetrieb, sondern ermöglicht auch die sofortige Vorlage entlastender Dokumente im Rahmen von Rechtsbehelfen gegen die strafprozessualen Maßnahmen, anstatt diese erst im Asservatenlager auswerten zu müssen. Die Summen solcher Geschäfte können schnell in den zweistelligen Millionenbereich gehen. Dadurch besteht durchaus das Problem der “Fluchtgefahr” und somit der Untersuchungshaft.
Konsequenzen für den Unternehmer
Der vorsatzlos beteiligte Unternehmer kann für einen längeren Zeitraum in Untersuchungshaft untergebracht bleiben oder einem dinglichen Arrest ausgesetzt sein. Bei kleineren Unternehmen kann der Wegfall von verantwortlichen Personen dazu führen, dass das Unternehmen ohne Leitung dasteht, sofern kein Stellvertreter benannt wurde. Wichtige Geschäftsentscheidungen können nicht getroffen werden, und Verbindlichkeiten bleiben unbedient. Diese Handlungsunfähigkeit kann rasch zum vollständigen Stillstand des Betriebs und eventuell sogar zur Insolvenz des Unternehmens führen.
Selbst wenn nachträglich Führungspersonal eingesetzt wird, kann der dingliche Arrest, der bei Umsatzsteuerkarussellen oft astronomische Summen erreicht, zu einer de facto bestehenden Handlungsunfähigkeit aufgrund finanzieller Engpässe führen. Ob der dadurch entstandene Druck der Strafverfolgungsbehörden unbeabsichtigt oder absichtlich in Kauf genommen wird, um einen Geständnisdruck zu erzeugen, bleibt fraglich. In der schlimmsten Konsequenz kann die Existenz des betroffenen Unternehmers bereits im Ermittlungsverfahren völlig gefährdet sein.
Sollte der Unternehmer letztendlich freigesprochen werden, ist es möglich, dass sein Unternehmen bereits insolvent ist und das beschlagnahmte Vermögen in die Insolvenzmasse fließt.
Aktuelle Rechtsprechung zum Vorsatz bei einer Einbindung finden Sie hier.
Benötigen Sie eine Rechtsberatung?
Wir beraten und vertreten Privatpersonen und Unternehmen in Ermittlungsverfahren und Strafverfahren bundesweit und vor allen Gerichten. Profitieren Sie von unserer langjährigen Erfahrung und unserer Kompetenz in Sachen Strafverteidigung.